Synagoge Fraenkelufer - Jüdisches Leben in Berlin-Kreuzberg
Als die Synagoge 1916 eingeweiht wurde, gehörte sie zu den größten Synagogen Berlins und bot rund 2.000 Menschen Platz.
Der Architekt Alexander Beer entwarf für Synagoge einen großen Gebetssaal, eine Wochentagssynagoge, einen Saal für den Jugendgottesdienst, einen Trausaal, Versammlungs- sowie Wohnräume. Der Neubau war also damals schon als eine Art Gemeindezentrum geplant worden. 1925 eröffnete die Jüdische Gemeinde einen Kindergarten und Hort auf dem Gelände, zweimal wöchentlich gab es zudem das Angebot einer nachmittäglichen Religionsschule.
Seitdem in der Pogromnacht 1938 die Hauptsynagoge schwer zerstört wurde, konnte bis 1942 nur noch der Seitenflügel für Gottesdienste benutzt werden. Im Krieg wurde das Hauptgebäude bei Bombenangriffen im Jahr 1943 weiter schwer beschädigt. Harry Nowalsky, ein jüdischer deutschstämmiger Offizier der US-Armee, ist es zu verdanken, dass der Seitenflügel der Synagoge zu Rosh hashana im September 1945 wieder eröffnen konnte.
1958 entschied sich die Gemeinde, die Ruinen des Hauptgebäudes endgültig abzutragen und nur noch den Seitenflügel als Synagoge zu nutzen. Nach gründlicher Sanierung wurde die Synagoge Fraenkelufer, im ehemaligen Seitenflügel, 1959 offiziell wieder eingeweiht. Synagogen in Berlin erhalten ihren Namen nach der Straße, in der sie sich befinden, und so hieß die Synagoge bei ihre Einweihung 1916 Synagoge am Kottbuser Ufer, dann Synagoge am Thielschufer und seit 1947 Synagoge am Fraenkelufer.
Nach der großen jüdischen Einwanderungswellen aus der ehemaligen Sowjetunion in den 90er Jahre stagnierte die Entwicklung der Beterschaft in den 2000er Jahren. In den letzten zehn Jahren wandelte sich die Bevölkerungsstruktur Berlins stark. Eine bemerkenswerte Internationalisierung prägt das Stadtbild, insbesondere im Bezirk Kreuzberg. Diese Entwicklung hat nach und nach auch die Gemeinschaft am Fraenkelufer verändert. Während viele der alteingesessenen Beterinnen und Beter der Synagoge weiterhin die Treue halten, kommen in den letzten Jahren vermehrt junge Menschen und Familien vor allem aus Nord- und Südamerika, Australien, Europa und aus Israel hinzu, die am Fraenkelufer eine Gemeinschaft für sich finden.
Die Gemeindearbeit wird fast ausschließlich von Engagierten organisiert. So ist das Fraenkelufer nach über hundert Jahren bewegter Geschichte heute wieder ein Zentrum jüdischen Lebens in Kreuzberg. 2016 feierten wir in einer jungen dynamischen Gemeinde das 100-jähriges Bestehen der Synagoge, zu dessen Anlass wir mit der Broschüre “100 Jahre Synagoge Fraenkelufer - Ein Jahrhundert jüdisches Leben in Kreuzberg” ein bebilderte Geschichte erstellt haben.
Dem enormen Wachstum der Gemeinschaft ist es auch zu verdanken, dass derzeit die Pläne für den Neubau eines jüdischen Gemeinde- und Kulturzentrums entstehen – an der Stelle, wo früher das Hauptgebäude der Kreuzberger Synagoge stand. Lesen Sie mehr darüber hier.
Capa am Fraenkelufer
Die Synagoge Fraenkelufer war die erste in Berlin, die nach der Shoa wieder eröffnet wurde – zu Rosh haShana, dem jüdischen Neujahrsfest – im September 1945. Jüdinnen und Juden, die die Vernichtungslager oder im Versteck in Berlin überlebt hatten, versammelten sich gemeinsam mit amerikanischen, britischen und sowjetischen Soldaten zum symbolischen Neubeginn am Fraenkelufer.
Der Fotograf Robert Capa, der die amerikanischen Truppen seit dem D-Day quer durch Europa dokumentiert hat, ist zu dieser Zeit in Berlin und besucht die Synagoge. Capa, am 22. Oktober 1913 in eine jüdische Familie in Budapest geboren, wurde bekannt für seine ikonischen Fotografien im Spanischen Bürgerkrieg oder bei der Landung der alliierten Truppen in der Normandie am D-Day. Später war er Mitbegründer der Fotoagentur Magnum. Er starb 1954 durch eine Landmine, als er die französischen Truppen im Indochina-Krieg fotografierte.
Mit seinen Fotos vom ersten Neujahrsgottesdienst nach dem Krieg in der Synagoge am Fraenkelufer (damals noch Thielschufer) hielt Robert Capa den historischen Moment für die Ewigkeit fest. Dass sie einen jüdischen Gottesdienst thematisieren, gibt ihnen eine einzigartige Stellung in Robert Capas Werk. Seit dem hundertjährigen Jubiläum der Synagoge Fraenkelufer 2016 ist dank der Unterstützung des International Center of Photography eine Auswahl dieser Bilder in der Synagoge ausgestellt – an dem Ort, an dem sie entstanden sind. Am 6. November 2016 haben wir in der Synagoge die Veranstaltung “Robert Capa in Berlin – Bilder eines Neubeginns” organisiert. Hier seht ihr Fotos des Abend.
Robert Capas pessimistisches Fazit lautete 1945: „Die Berliner Juden haben nicht mehr viel, worauf sie sich im Neuen Jahr freuen können, und fügen sich in ihr Schicksal, die letzten Überlebenden ohne Zukunft zu sein.“ Heute gibt es in der Synagoge Fraenkelufer wieder eine junge und aktive Gemeinde, die sich auch für die Bewahrung der Erinnerung und die Fortführung der Tradition engagiert.
Am Ort des ehemaligen Hauptgebäudes der Synagoge am Kottbusser Ufer, heute Fraenkelufer, soll ein jüdisches Kulturzentrum entstehen. Dieses soll sich in Größe und Form am Original orientieren und eine Antwort auf die Bedürfnisse der stark wachsenden jüdischen Bevölkerung in Berlin geben. Der Neubau soll architektonisch an den neoklassizistischen Bau von Alexander Beer anknüpfen und Raum bieten für Kultur und Bildung, einen Kindergarten, für nachbarschaftliche und interkulturelle Begegnungen, Feierlichkeiten, Veranstaltungen, Ausstellungen und mehr.
Mit dem jüdischen Zentrum wollen wir ein Zeichen der Toleranz, des Miteinanders, der Weltoffenheit und des Zukunftsoptimismus senden. Gleichzeitig wird mit dieser neu-alten Synagoge ein Zeichen für die Sichtbarkeit jüdischen Lebens im Herzen der deutschen Gesellschaft gesetzt. Im September 2018 wurde hierfür auf Initiative des Berliner SPD-Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh der Verein “Jüdisches Zentrum Synagoge Fraenkelufer e.V.” gegründet. Im März 2019 tagte erstmals das hochrangig besetzte Kuratorium.
Im Herbst 2019 wurde als erster “physischer” Schritt auf dem Weg zum Gemeindezentrum der Eruv Hub gegründet. Eruv ist ein jüdischer Co-Working Space, ein Begegnungsort und Veranstaltungsraum. Er ist Teil des Betterplace Umspannwerk (bUm), der nur wenige Gehminuten von der Synagoge Fraenkelufer entfernt liegt. Mehr als 15 jüdische Organisationen und Initiativen können dort arbeiten sowie Veranstaltungen und Meetings abhalten. Die Idee ist, sich gegenseitig zu inspirieren und voneinander zu lernen. Einzigartig ist dabei, dass der Eruv Hub sich die Räumlichkeiten mit zahlreichen anderen sozialen Organisationen teilt, so dass ein Netzwerk auch über die jüdische Gemeinschaft hinaus entsteht.
Weitere Informationen zum Wiederaufbau und zum Jüdischen Zentrum Synagoge Fraenkelufer findet ihr hier.
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